Erste Beerdigung
Die erste Beerdigung eines Evangelischen
im Drolshagen des Jahres 1848
Das liebenswerte Städtchen Drolshagen ist im Südwestfälischen gelegen und grenzt im Norden an das märkische Sauerland, im Westen an das Bergische, beides weit überwiegend evangelisch geprägte Gebiete. Bis 1806 gehörte Drolshagen zum geistlichen Kurfürstentum Köln, danach bis 1816 zu Hessen-Darmstadt und ab 1816 zur preußischen Provinz Westfalen. Um 1848 zählte die eigentliche Stadt etwa 450 Einwohner, die Gemeinde Drolshagen-Land ca. 2500 Personen, nahezu alle katholisch aufgrund der jahrhundertelangen Zugehörigkeit des Südsauerlandes zum Kölner Erzstift, einem geistlichen Territorium. Umso befremdlicher mußte es ihnen erscheinen, nun als Landesherrn einen evangelischen Souverän, den preußischen König zu bekommen.
Als Wahrzeichen der Stadt und des Drolshagener Landes gilt seit alters her die wohl kurz nach 1000 errichtete romanische St.-Clemens-Kirche, eine dreischiffige fünfjochige Pfeilerbasilika mit regelmäßigem Grundriß, versehen mit einem ungemein wuchtigen Turm aus dem 15. Jahrhundert.
Sozusagen im Schatten dieser Kirche sollte sich im Jahre 1848 eine makabre Begebenheit ereignen – ein Skandal um die Bestattung des einzigen Drolshagener Protestanten, des Gerbers Nicolaus Dittmar. Dieser war am 17. Oktober 1782 in Berka, in der Nähe von Eisenach, geboren worden, und auf eine uns unbekannte Weise hatte es ihn nach Drolshagen verschlagen. Hier stand er seit langen Jahren als einziger Geselle beim Gerbermeister Fincke in Lohn und Brot und war wegen seines freundlichen Wesens allseits geschätzt.
Solange es in der benachbarten Kreisstadt Olpe noch keine evangelische Gemeinde gab, also bis 1844, orientierte sich Dittmar kirchlich ins benachbarte Bergische, zur anderthalb Wegstunden entfernten Kirche in Wiedenest. An der seit 1842 im Entstehen begriffenen Olper Gemeinde nahm er regen Anteil, beteiligte sich 1843 an der Pfarrerwahl und zeichnete für die Jahre 1843 und 1845 den für einen Gerber nicht unbedeutenden Kirchenbeitrag von je zwei Taler, zumal seine Entlohnung zu einem beträchtlichen Teil aus Kost und Logis bei seinem Brotherrn bestanden und er deshalb über nur relativ geringe Barmittel verfügt haben dürfte.
Ende des Jahres 1847 erkrankte Dittmar so schwer, daß der Olper evangelische Pfarrer Johann Georg Manskopf nach Drolshagen eilte und ihm dort am Sonntag, dem 28. November, das Abendmahl reichte. Die Nachricht von der lebensbedrohlichen Krankheit Dittmars und der Darreichung des Abendmahls durch den protestantischen Geistlichen wird sich in Drolshagen in Windeseile verbreitet haben und auch dem dortigen katholischen Pfarrer Joseph Hermann Gördes zur Kenntnis gelangt sein. Dittmars Tage waren tatsächlich gezählt, denn dem Sterberegister der evangelischen Gemeinde ist zu entnehmen, daß Dittmar am 16. Januar 1848, „halb neun Uhr abends“ an einem „Kopfgeschwür“ verstorben sei und „eines approbirten Arztes und eines Wundarztes Hülfe genossen“ habe.
Die sich nun an den Tod von Nicolaus Dittmar anschließenden Ereignisse sollten einen Skandal großen Ausmaßes zur Folge haben.
Da im katholischen Südsauerland bis zur Gründung der Kirchengemeinde Olpe keine evangelischen Pfarreien existierten und somit auch keine protestantischen Geistlichen daselbst ein Amt versehen konnten, wurden bei der Zahl der wenigen evangelischen Sterbefälle die Verstorbenen entweder zu den evangelischen Friedhöfen nach Valbert ins Märkische, nach Wiedenest ins Bergische oder nach Krombach ins Siegerland gebracht, oder die Beerdigung wurde vom jeweiligen katholischen Ortspfarrer auf dem örtlichen Friedhof (alle Friedhöfe befanden sich in katholischem Besitz) in einem liturgischen Rahmen vollzogen. Dieses Vorgehen entsprach genau der gesetzlichen Bestimmung des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794: „Auch die im Staate aufgenommenen Kirchengesellschaften der verschiedenen Religionsparteyen, dürfen einander wechselsweise, in Ermangelung eigner Kirchhöfe, das Begräbniß nicht versagen.“
Die Kirchen hielten sich an die Gesetzesvorgabe, nur war diese insofern nicht eindeutig, da ihr nicht zu entnehmen war, ob die Bestattung auch nach den liturgischen Regeln und von einem Geistlichen derjenigen Konfession, der der Verstorbene angehört hatte, auf dem Friedhof der jeweils anderen Kirche vorgenommen werden dürfe. Zwei Verordnungen von 1844 und 1847 beseitigten alle Unklarheiten und bestimmten, daß die Kirchen bei Fehlen eigener Friedhöfe einander gegenseitig Begräbnisse gewähren müssen und die jeweiligen Geistlichen diese liturgisch vornehmen dürfen.
Pastor Gördes ahnte bereits die Komplikationen, die sich aus einer evangelischen Beerdigung auf dem Drolshagener katholischen Friedhof ergeben würden, und bat bereits am 1. Dezember 1847, als die tödlich verlaufende Krankheit Dittmars offenkundig geworden war, seine geistliche Oberbehörde in Paderborn um Verhaltensregeln, denn er befürchtete nicht zu Unrecht einen größeren Skandal, „da ein solcher [Beerdigungs-]Fall hier noch nicht vorgekommen ist.“ Unschöne Vorgänge bei evangelischen Bestattungen in der Stadt Olpe mahnten ihn wohl zur Vorsicht.
Mußte man im hochkatholischen Südsauerland nolens volens die Existenz von evangelischen Gemeinden und das Wirken protestantischer Geistlicher hinnehmen, so stellte das Amtieren eines evangelischen Pfarrers im Talar, zudem noch in der Öffentlichkeit und auf einem geweihten katholischen Gottesacker eine neue Qualität dar, mit der sich die einheimische Bevölkerung nicht abfinden wollte.
Hatte Gördes auf Weisungen durch das Paderborner Generalvikariat gehofft, so wurden seine Erwartungen jedoch getäuscht: Man ließ ihn mit seinem Problem allein. Die geistliche Oberbehörde sah sich in einer Zwickmühle und hüllte sich daher wohlweislich in Schweigen. Hätte sie Gördes anheimgestellt, die Beerdigung durch den evangelischen Geistlichen kommentarlos geschehen zu lassen, so hätte sie sich gegen die eigenen Bestimmungen verhalten. Hätte das Generalvikariat die evangelische Beerdigung auf dem katholischen Friedhof indes expressis verbis verboten, hätte sie die weltliche Obrigkeit gegen sich aufgebracht und ein Strafverfahren riskiert. So tat sie nichts – und Gördes mochte zusehen, wie er zurechtkam.
Manskopf muß vom Tode Dittmars sehr zeitnah unterrichtet worden sein, denn er teilte bereits am 17. Januar seinem katholischen Amtsbruder mit, er gedenke, den Verstorbenen am Mittwoch, dem 19. Januar, auf dem Drolshagener Kirchhof „nach evang[elischem] Ritus zu beerdigen.“ Gördes legte sofort Verwahrung dagegen ein. Da Manskopf eine Eskalation der Situation befürchtete, wandte er sich unmittelbar an den zuständigen Olper Landrat Adolf Caspar Freusberg: „Da indessen nach eben mir zugekommener Benachrichtigung das dortige Volk gegen eine Beerdigung von meiner Seite sich opponirt, auch das verlangte Grab nicht hat graben wollen, bis ihr Pastor die Erlaubniß dazu ertheile, welcher heute nach Wenden gereist sey, so habe ich mich genöthigt gesehen, die Beerdigung bis auf Donnerstag Morgen zwischen 9 & 10 Uhr zu verschieben.“
Offensichtlich hatte sich Gördes, wohl um weiteren Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, auf den Weg ins etwa 15 km entfernte Wenden gemacht und war für ein bis zwei Tage in seiner Pfarrei nicht präsent.
Freusberg handelte indes umgehend. Er wies in zwei Schreiben vom 18. und vom 19. Januar den Drolshagener Amtmann Stachelscheid an, für die Herstellung des Grabes zu sorgen und „die nöthigen Anordnungen zur Verhütung von störenden Auftritten zu treffen“. Bei Zuwiderhandlung drohte er schwere Strafen an.
Nun war Stachelscheid wahrlich in keiner beneidenswerten Situation: Der Landrat erinnerte ihn nachhaltig daran, staatliches Recht exekutieren und den Gesetzen Geltung verschaffen zu müssen. Tat er das, so lief er allerdings Gefahr, wegen seiner Botmäßigkeit sein Ansehen und seine Autorität bei der Bevölkerung einzubüßen. Der Amtmann tat in dieser für ihn unkomfortablen Lage das einzig Richtige: er beschönigte, verharmloste, schützte amtliches Unwissen vor und berichtete über die Boykotthaltung in der Bevölkerung. Dafür platzte nun Freusberg der Kragen. Er verfügte sich höchstpersönlich noch am selben Tag, dem 19. Januar, nach Drolshagen und veranlaßte an Ort und Stelle das Nötige für das Begräbnis.
Manskopf hatte sich jedoch nicht nur an den Landrat gewandt, sondern nochmals an seinen katholischen Kollegen Gördes. Dieser berichtete seinen Vorgesetzten: „Am 19ten schickte mir Manskopf ein[en] (protest[antischen]) Boten mit dem Auftrage, für ein Grab zu sorgen. Ich bemerkte demselben, daß dieses Sache der Polizei sei, übrigens möge er dem Manskopf sagen, daß es am besten sei, um allen etwa entstehenden Unannehmlichkeiten vorzubeugen, mir die Beerdigung der Leiche zu belassen; ich wolle keine Gebührn hiervon; er möge nur dieselben beziehen“.
Damit machte nun Gördes, ohne es zu wollen und wohl aus bester Absicht, einen entscheidenden Fehler. Gerade die letzte Bemerkung mußte Pfarrer Manskopf tief verletzen, unterstellte ihm doch Gördes damit, er wolle nur wegen der anfallenden Stolgebühren die Beerdigung von Dittmar durchführen. Wenn der in seinem Wesen recht irenische Manskopf dem Konflikt je hätte aus dem Wege gehen wollen, jetzt war ihm dies aus Gründen seiner Selbstachtung und als Pastor seiner Gemeinde nicht mehr möglich.
Am Donnerstag, dem 20. Januar, vormittags gegen 9 Uhr, konnte die Beerdigung von Nicolaus Dittmar auf dem katholischen Friedhof nach den liturgischen Regeln der evangelischen Kirche durch Manskopf stattfinden. Da keine Drolshagener Sargträger zur Verfügung standen, hatte der evangelische Olper Gewerke Heinrich Kreutz, Mitbesitzer eines Hüttenbetriebes, etliche seiner Arbeiter dafür nach Drolshagen beordert. Sie sollten gegebenenfalls auch dem Pfarrer Schutz gegen Tätlichkeiten bieten. Gendarmen hatten zudem die öffentliche Ordnung sicherzustellen. Stachelscheid und Gördes waren ihrerseits bemüht, die Situation zu entschärfen und trafen Vorkehrungen, daß „sich das aufgeregte Volk vom Kirchhofe fern hielt.“ Um ihren Pfarrer zu unterstützen und dem Verstorbenen das letzte Geleit zu geben, hatten sich zudem zahlreiche evangelische Gemeindeglieder aus Olpe zur Beerdigung eingefunden.
Die eigentliche Beisetzung verlief sodann ohne Beeinträchtigungen, sieht man einmal von einem Plakat ab, das am Friedhofseingang angebracht war und das sich heute im Archiv der Olper evangelischen Kirchengemeinde befindet. Es hat folgenden Wortlaut:
Bis heute sind auch unsere heiligen Stätte[n] von 1521 an von dem Satanischen Protest[antischen] Götzen Diner befreit [gewesen]. Deo g[ratias] – ; wo wir um des Gehorsam[s] und [der] Gedult willen, die Zulassung des heutigen Prot[estantischen] [Beerdigungs-] Acktes, des unbesonnener Verfügung, der Ober-Regierung des Konig[s] geschehen [lassen müssen] Das Volk.
Manskopf war sehr erleichtert, als er ohne Zwischenfälle wieder in seinem Olper Domizil angekommen war. Wie angespannt und gefährlich er die Situation eingeschätzt hatte, davon gibt eine Briefnotiz aus dem Jahre 1851 Kunde: „Ich hatte Gott zu danken, daß ich unversehrt in den Schooß der Meinigen zurückkehren konnte.“
Damit hätte nun die leidige Affäre ihr Ende haben können, wenn nicht vom Abend des Beerdigungstages ein skandalöser Vorfall zu berichten wäre.
Folgendes Faktum steht unbezweifelbar fest: Der Sarg mit dem Verstorbenen wurde nach Einbruch der Dunkelheit alsbald von Unbekannten ausgegraben, in ein nahegelegenes Wäldchen verbracht und dort aufrecht an einen Baum gelehnt.
Pfarrer Gördes und der Amtmann Stachelscheid erfuhren des Abends gegen ½ 8 Uhr durch den Polizeidiener, daß der Sarg aus dem Grab entfernt worden sei. Sie machten sich umgehend auf den Weg zum Friedhof. Dort angekommen – so Gördes’ Bericht nach Paderborn – „war das Grab leer und als wir im Begriff waren im Schnee die Spur zu ermitteln, hatten bereits die anderweit […] avertirten [=benachrichtigten] Personen den Sarg in einem nahe gelegenen Wäldchen entdeckt und brachten ihn zurück auf den Kirchhof. An dem Sarg war keine Spur der Verletzung sichtbar. Es wurde daher, um allen Aufruhr & Spectakel zu vermeiden, der Sarg wieder in die Gruft gesenkt und diese mit Erde zugedeckt.
Gördes’ Hoffnung, diese peinliche Angelegenheit könne beschwiegen und nicht in eine größere Öffentlichkeit getragen werden, trog allerdings. Derartige Begebenheiten waren von ihrer Bedeutung her nicht geeignet, alsbald der Vergessenheit anheimzufallen. Stattdessen stellten sie Munition in der mitunter nicht zimperlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden großen Kirchen im 19. Jahrhundert dar. Und so war es letztlich auch kein Wunder, daß das „Elberfelder Kreisblatt“ vom 10. Februar unter der Rubrik „Provinzielles – Aus [Berg-]Neustadt“ den Vorgang aufgriff und sehr zugespitzt kommentierte. Auch hatte, wie bei solch einer Sache nicht anders zu erwarten, die Legendenbildung und die Ausschmückung des Geschehens bereits begonnen. Die Zeitung berichtete von einer zweimaligen Ausgrabung des Sarges, wobei dieser bei der zweiten Beisetzung verkehrt in die Gruft gesenkt worden sei. Spätere Gerüchte wußten sogar davon zu berichten, die Leiche habe sich „gar baumelnd an einem Baume“ befunden.
Für Amtmann Stachelscheid mußte die Grabschändung höchst unangenehm sein. Besonders erbost zeigte er sich über die Zeitungsmitteilung, der Sarg wäre zweimal ausgegraben worden. Dieses, hätte es den Tatsachen entsprochen, wäre ein augenfälliges Zeugnis für des Amtmanns Nachlässigkeit und Unvermögen gewesen, seines Amtes in Drolshagen ordentlich zu walten – wenn es nicht sogar den Verdacht von dessen Komplizenschaft nähren mußte. Demzufolge setzte Stachelscheid alles daran, vom Elberfelder Kreisblatt den Namen des Verfassers genannt zu bekommen und ließ das Blatt wissen: „Der Artikel ist in so bestimmten Ausdrücken gefaßt, enthält namentlich derartige locale und spezielle Umständlichkeiten [=Einzelheiten], daß hier nothwendig auf eigene autoptische [Augenschein-] Wahrnehmung und auf autenthische [sic] Wissenschaft geschlossen werden muß.“
Erst Anfang März teilte die Redaktion dem Amtmann mit, daß es sich bei dem Artikelschreiber um einen gewissen Wilhelm Bockemühl aus Bergneustadt handele, eine Angabe, die jedoch nicht weiterführt, denn hinsichtlich des Bockemühl und dessen Informationen schweigen die Quellen.
Wer nun Bockemühl und damit das Kreisblatt mit vielen Details im Zusammenhang der Beerdigung von Dittmar versorgt hat, bleibt im Dunkeln. Manskopf wird es kaum gewesen sein. Ihm lag nicht daran, die Beziehungen zur katholischen Seite unerträglich zu belasten. Vermutlich werden wir aber den Informanten in Heinrich Kreutz zu suchen haben. Dieser war ein recht kämpferischer Protestant reformierter Prägung, der zeitlebens keiner religiösen oder politischen Auseinandersetzung aus dem Wege ging. Er stammte aus einer begüterten und einflußreichen Siegener Familie, leitete deren Olper Hüttenwerk und gehörte 1842/44 zu den Gründungsmitgliedern der evangelischen Gemeinde in der Kreisstadt. Seine politischen Ambitionen führten ihn später in den preußischen Landtag und sogar für zwei Legislaturperioden in den Reichstag. Nach all dem, was wir über ihn wissen, kann nur er es gewesen sein, der über einen Mittelsmann die skandalöse Sache in die Öffentlichkeit lanciert hat, denn er war einer der ganz wenigen aus der Olper Gemeinde – wenn nicht sogar neben Pastor Manskopf der einzige – der über alle Einzelheiten in der Beerdigungsangelegenheit ‚Dittmar’ informiert war.
Der zuständige Siegener Superintendent Johann Friedrich Bender, der selbstverständlich von Manskopf auf dem laufenden gehalten worden war, gab von dem Geschehen seinerseits Bericht an die Arnsberger Regierung, die eine hochnotpeinliche Untersuchung für nötig erachtete. Allerdings verlief diese, wie nicht anders zu erwarten war, im Sande. Dazu Stachelscheid in einem Schreiben vom 15. Februar: „Durch die polizeiliche Voruntersuchung haben sich leider ! indessen bis jetzt nur wenige Indicien ergeben, welche zur Ermittelung der Thäter Aussicht hoffen ließen, […] weil über das scandalöse Factum in der hiesigen Gemeinde das größte Stillschweigen herrscht.“
Selbstredend wurden die Namen der Übeltäter „unter der Hand“ genannt, selbstredend wußte jeder in der Stadt, wer gemeint war – doch bei einer amtlichen Befragung schützte jeder Unwissen vor und gab sich harmlos.
Die faktische Unmöglichkeit intensiver und effektiver Ermittlungen sowie auch die Ereignisse der revolutionsgeschwängerten Zeit des Frühjahres 1848 werden das Ihrige dazu beigetragen haben, die Sache einschlafen zu lassen und dem Vergessen zu überantworten.
Die letzte Äußerung zum gesamten Komplex fiel auf der Siegener Kreissynode vom 30. August 1848. Superintendent Bender erwähnte „eine in unsern Tagen für kaum möglich gehaltene Handlung der Intoleranz und des blindesten Religionshasses bei der Beerdigung eines Evangelischen“ in Drolshagen und fragte Manskopf, „ob die darüber eingeleitete gerichtliche Untersuchung zu einem Resultate geführt habe.“ Als Antwort vermeldete das Synodalprotokoll: „Bruder Manskopf gab an, daß man unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen die Untersuchung suspendirt habe.“
Dabei ist es dann auch geblieben, und der casus Dittmar hat sich durch die Zeitläufte erledigt.
Wahrscheinlich ausgelöst durch die Mißhelligkeiten um die Beerdigung Dittmar, die sich wohl im kollektiven Gedächtnis festgesetzt hatten, sollte auf lange Jahre kein Evangelischer mehr auf dem Drolshagener Kirchhof seine letzte Ruhestätte finden. Lediglich 1869 wurde dort ein Kind bestattet und erst 1914 ein Soldat zu Grabe getragen, der im Drolshagener Krankenhaus seinen Verwundungen erlegen war. Verstarben evangelische Christen, so wurden sie, wie zuvor, auf die Friedhöfe nach Valbert und Wiedenest gebracht. So geschehen auch noch 1953, als eine evangelische Frau verstorben war und der Ehemann sie auf dem katholischen Friedhof in Schreibershof (bei Drolshagen) bestattet wissen wollte. Der zuständige Vikar knüpfte seine Zustimmung zu dieser Beerdigung aber an die Bedingung, die Beisetzung müsse in der sogenannten ‚Selbstmörderecke’ stattfinden. Diese Zumutung wurde selbstredend abgelehnt und der Leichnam ins benachbarte evangelische Valbert überführt.
Mit dieser Begebenheit dürfte indes die Abfolge der beide Konfessionen belastenden Ereignisse im Drolshagener Land ihr Ende gefunden haben, zumal nur etliche Jahre später das Zweite Vatikanische Konzil zu einer bemerkenswerten Entspannung zwischen den Kirchen beigetragen und letztlich zu einem geschwisterlichen Miteinander geführt hat.
Hans-Bodo Thieme